Auslegungsstreit § Ausgangssituation, Ablauf & mehr
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Wenn sich die Vertragsparteien uneins darüber sind, wie einzelne Vertragsinhalte zu verstehen sind, kann es zu einem sogenannten Auslegungsstreit kommen. Die Auslegung des Vertragsinhaltes wird dann auf gerichtlichem Wege vorgenommen. In der Gerichtsverhandlung geht es darum, den Willen der Vertragspartner zu ermitteln, Konsens herzustellen und den Vertrag unter Umständen demgemäss anzupassen oder zu ergänzen. Dabei erfolgt die Vertragsauslegung nach bestimmten Grundsätzen. Welche das sind, wie ein Auslegungsstreit abläuft und zu welchen Ergebnissen er führen kann? Das und noch mehr erfahren Sie in diesem Artikel.
- Das Wichtigste in Kürze
- Von einem Auslegungsstreit spricht man, wenn die Inhalte eines Vertrages strittig sind
- Grund hierfür können mehrdeutige Begriffe sein.
- Die Gültigkeit des Vertrags wird nicht bestritten
- Ziel des Verfahrens ist es, wie Vertragsinhalte konkret aufzufassen sind.
- Ist keine Einigung möglich, kann auch eine Anpassung oder Ergänzung erfolgen.
- Grundlage der Einigung ist der Wille der Vertragsparteien bei Vertragsabschluss.
- Kann keine einvernehmliche Lösung gefunden werden, kommt es zur objektiven Vertragsauslegung durch das Gericht
Rechtslage des Auslegungsstreits
Bei einem Auslegungsstreit erfolgt eine Beurteilung bzw. Auslegung des Vertragsinhaltes durch das Gericht. Das Gericht hat dabei laut Artikel 18 D. des Obligationenrechts (OR) den übereinstimmenden wirklichen Willen der Vertragsparteien zu beachten. Haben die Vertragsparteien – sei es aus Irrtum oder um die wahre Beschaffenheit des Vertrages absichtlich zu verbergen – eine unrichtige Bezeichnung oder Ausdrucksweise im Vertrag gebraucht, so ist diese für die Auslegung des Vertrages nicht von Relevanz. Welche Richtlinien darüber hinaus für die Vertragsauslegung von Bedeutung sind und wie ein Auslegungsstreit konkret abläuft, wird im Folgenden näher beleuchtet.
Ausgangssituation des Streitfalls
Ein Auslegungsstreit kommt dadurch zustande, dass zwischen den Vertragsparteien fehlender Konsens in Bezug auf den Vertragsinhalt herrscht. In der Praxis kann ein Auslegungsstreit dadurch ausgelöst werden, dass eine Vertragspartei Ansprüche stellt, die ihr ihrer Ansicht nach aus dem Vertrag zustehen, während die andere Vertragspartei einen anderen Standpunkt vertritt und behauptet, dass der Vertragsinhalt anders zu verstehen sei. Dabei kann es sich zum Beispiel um einen Kaufvertrag handeln oder Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB), in welchen einzelne Bedingungen strittig sind – sei es infolge von uneindeutigen Formulierungen, Missverständnissen, Irrtümern oder bewusster Täuschung.
Dass der Vertrag an sich Bestand hat, wird beim reinen Auslegungsstreit seitens der Parteien bzw. des Gerichts nicht in Zweifel gezogen. In einem solchen Fall spricht man von einem sogenannten Konsens Streit. Beim Auslegungsstreit geht es darum, dass der Vertrag aufrecht bleibt und vor Gericht lediglich eine Einigung über den strittigen Vertragspunkt herbeigeführt wird bzw. verbindlich festgelegt wird, wie dieser aufzufassen ist. In Verbindung mit einem Auslegungsstreit kann es jedoch in manchen Fällen durchaus auch zu einem Konsens Streit kommen. Sind wesentliche Vertragsinhalte betroffen, stellt sich nämlich die Frage, ob der Vertrag in dem Fall überhaupt noch als zustande gekommen betrachtet werden kann bzw. aufrechtzuerhalten ist.
Ziele eines Auslegungsstreits
Ein Auslegungsstreit zielt darauf ab, Konsens herzustellen und verbindlich festzulegen, wie der Vertragsinhalt aufzufassen ist. Im Zuge dessen kann es auch zu einer Ergänzung oder Änderung des Vertragsinhaltes kommen. Dabei sollen Missverständnisse, wie sie etwa durch unklare Formulierungen oder Uneindeutigkeit einzelner Worte zustande kommen können, aus dem Weg geräumt werden und es wird der tatsächliche Wille der Vertragsparteien begründet. Es geht beim Auslegungsstreit zunächst vor allem darum, zu ermitteln, wie der Vertragsinhalt von den Parteien gemeint war bzw. verstanden wurde. Orientierungspunkt für die gerichtliche Entscheidung ist also nicht primär die objektive Auslegung des Vertragsinhaltes, sondern das subjektive Verständnis der Beteiligten.
Wurde im Vertrag irrtümlicherweise ein Begriff verwendet, der nicht korrekt ist, ist es nicht Ziel des Auslegungsstreits, die Vertragsparteien an die dadurch zustande gekommene Bedeutung des Vertragsinhaltes zu binden, sondern den Vertrag so festzulegen, wie er dem eigentlichen Willen der Vertragsparteien entspricht. Dies gilt dann, wenn beide Vertragsparteien darin übereinstimmen, was im Zusammenhang mit einem bestimmten Begriff oder einer Vertragspassage angestrebt wurde. Die Vertragsauslegung erfolgt auch dann nach dieser Prämisse, wenn Begriffe absichtlich verwendet wurden, um die andere Vertragspartei über den tatsächlichen Inhalt des Vertrages zu täuschen. In solchen Fällen wird also auch in die Entscheidung miteinbezogen, wie die andere Partei diesen Begriff verstanden hat.
Kann auf diese Weise kein Konsens erreicht werden, weil eine der Vertragsparteien eine Vereinbarung anders auffasst, erfolgt die Auslegung des Vertragsinhaltes unter dem Gesichtspunkt der Objektivität („normative Auslegung“). Andere Kriterien wie etwa der Vertragszweck rücken dann in den Vordergrund. Die Auslegung des Vertrages wird nach dem Vertrauensprinzip vorgenommen. Demgemäss sind die Vertragsinhalte so auszulegen, wie sie vom Erklärungsempfänger in guten Treuen verstanden werden dürfen bzw. müssen – dies ergibt sich aus dem Wortlaut, Zusammenhang und den Gesamtumständen. Der Vertrag ist gültig, wenn ein normativer Konsens besteht.
Normiver Konsens wird erst durch die objektive Auslegung des Vertragsinhaltes hergestellt - also dann, wenn kein tatsächlicher Konsens zwischen den Vertragsparteien vorliegt. Bei normativem Konsens handelt es sich um rechtlichen Konsens, der vom Gericht nach dem Vertrauensprinzip festgelegt wird und nicht unter den Vertragsparteien selbst gegeben ist.
Ablauf des gerichtlichen Auslegungsstreit
Die Auslegung des Vertragsinhaltes erfolgt generell in zwei Schritten: Der subjektiven und der objektiven Vertragsauslegung. Wie im vorhergehenden Abschnitt bereits geschildert wurde, ist für die Auslegung primär das subjektive Verständnis bzw. der übereinstimmende Wille der Vertragsparteien von Bedeutung. Die objektive Vertragsauslegung kommt nur dann zur Anwendung, wenn die subjektive Vertragsauslegung zu keinem Ergebnis geführt hat. Ein Auslegungsstreit kann sich in folgende Schritte gliedern:
- Subjektive Vertragsauslegung: Ermittlung des tatsächlichen Willens der Vertragsparteien (Ziel: „tatsächlicher Konsens“)
- Objektive Vertragsauslegung: Besteht kein tatsächlicher Konsens zwischen den Vertragsparteien, erfolgt die Auslegung nach dem Vertrauensprinzip – also danach, wie der Vertrag in guten Treuen verstanden werden durfte oder musste (Ziel: „normativer Konsens“). Im Mittelpunkt der Untersuchung steht die Sichtweise des Erklärungsempfängers. Der Wille des Erklärenden tritt dabei in den Hintergrund.
Im Ergebnis wird der Vertragsinhalt dementsprechend festgelegt. Es kann auch zu einer Änderung oder Anpassung des Vertrages kommen. Kann jedoch kein eindeutiger Sinn ermittelt werden und kein normativer Konsens hergestellt werden, wird der Vertrag als nicht gültig beurteilt. Wurden im Zusammenhang mit dem Vertrag bereits Leistungen erbracht, sind diese zurückzuerstatten. Es kann auch Anspruch auf Schadensersatz bestehen.
Nach welchen Richtlinien erfolgt die Vertragsauslegung?
Bei der Auslegung des Vertragsinhaltes sind diverse Kriterien zu berücksichtigen. Von entscheidender Bedeutung sind nicht nur der Wortlaut, sondern auch der Gesamtkontext, der Wille der Vertragsparteien, der Vertragszweck und die Gesamtumstände in Zusammenhang mit dem Vertragsabschluss. Auch wenn dem Wortlaut eine vorrangige Bedeutung zukommt, ist primär der Wille der Vertragsparteien entscheidend für die Auslegung des Vertrages. Regeln und Kriterien für die Auslegung des Vertragsinhaltes sind mitunter die folgenden:
- Für die Auslegung ausschlaggebend ist, wie die Situation der Vertragsparteien zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses beschaffen war („Auslegung ex Tunc“).
- Auch das Verhalten der Vertragsparteien vor und nach Abschluss des Vertrages ist relevant
- Der Gesamtkontext des Vertrages ist zu berücksichtigen.
- Die Vertragsauslegung hat nach dem Grundsatz von Treu und Glauben und gesetzesgemäss zu erfolgen.
- Zu berücksichtigen sind auch die Interessen der Parteien und gegebenenfalls deren fachspezifische Kenntnisse.
- Für die Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) ist die sogenannte Unklarheitenregel anzuwenden, das heisst: Unklare Formulierungen werden zu Lasten der Vertragspartei ausgelegt, die die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) verfasst hat.
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Wie kann ein Anwalt für Vertragsrecht helfen?
Vertragstexte sind nicht immer einfach zu verstehen und es können sich Formulierungen darin finden, die nicht ganz eindeutig oder gar unkorrekt sind. In der Folge kann es dazu kommen, dass eine Vertragspartei unerwartete Ansprüche stellt, oder sich eine Vertragspartei weigert, Ansprüche zu erfüllen, die der anderen ihrer Meinung nach zustehen. Aus diesem Grund ist es vorteilhaft, etwaige Verträge von einem spezialisierten Anwalt für Vertragsrecht prüfen zu lassen – und zwar am besten schon vor Vertragsschluss. So kann einem Auslegungsstreit frühzeitig vorgebeugt werden. Zudem kann ein Rechtsanwalt unter Umständen auch noch nach Vertragsabschluss erreichen, dass strittige Vertragspunkte auf aussergerichtlichem Wege geklärt werden.
Rechtsstreitigkeiten lassen sich jedoch nicht immer vermeiden. Dann bleibt nur noch die Möglichkeit, die eigenen Interessen vor Gericht bestmöglich zu wahren und durchzusetzen. Lassen Sie sich dabei am besten von einem Anwalt für Vertragsrecht vertreten, um diesen alle wichtigen Vorbereitungen treffen zu lassen und die Chance auf einen für Sie erfolgreichen Verfahrensausgang zu erhöhen.
FAQ: Auslegungsstreit
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